Artikel 1: Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Hilfe zur Selbsthilfe sowie auf Unterstützung, um ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen zu können.

    Willens- und Entscheidungsfreiheit, Fürsprache und Fürsorge

    Sie haben das Recht, dass Ihr Wille und Ihre Entscheidungen beachtet werden sowie auf Fürsprache und Unterstützung. Die an Ihrer Pflege, Betreuung und Behandlung beteiligten Personen müssen ihr Handeln danach ausrichten. Das gilt auch, wenn Sie Ihren Willen nicht durch Worte zum Ausdruck bringen können, sondern beispielsweise durch Ihr Verhalten. Wenn Ihre geistigen Fähigkeiten beeinträchtigt sind, haben Sie das Recht, Ihrem Verständnis entsprechend in Entscheidungen, die Sie betreffen, einbezogen und bei Entscheidungen unterstützt zu werden. Auch wenn Sie nicht alleine entscheiden oder Ihre Wünsche benennen können, muss in Ihrem Sinne gehandelt werden. Dafür sollten die für Ihre Pflege, Betreuung und Behandlung zuständigen Personen Sorge tragen.

    Selbstbestimmtes Leben

    Sie können erwarten, dass mit Ihnen sowie gegebenenfalls Ihren Vertrauenspersonen abgestimmt wird, wie Ihre Ziele und Wünsche unter den rechtlichen und praktischen Möglichkeiten verwirklicht werden können. Das betrifft beispielsweise, wo Sie sich aufhalten und leben möchten, zu wem Sie Kontakt haben, wie Sie Ihren Tagesablauf gestalten und welchen Gewohnheiten Sie nachgehen, wie und wann Sie sich waschen oder was Sie essen. Wenn es Ihr gesundheitlicher Zustand erlaubt, muss gewährleistet sein, dass Sie Ihren Wohnraum jederzeit betreten, verlassen und abschließen können. Das gilt auch, wenn Sie in einer Einrichtung leben.

    Wahl von Leistungen und Anbietern

    Sie haben das Recht, selbst zu entscheiden, welche Anbieter für die Pflege, Betreuung und Behandlung Sie nutzen, von wem Sie sich pflegen, betreuen und behandeln lassen und welche Maßnahmen dabei durchgeführt werden.

    Respektierung der Lebensweise

    Sie haben das Recht auf Respektierung Ihrer Lebensweise und Ihrer geschlechtlichen Identität sowie auf Sexualität. Niemand darf Sie aufgrund Ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminieren. Sie haben das Recht, über Ihre intimen und sexuellen Beziehungen und Aktivitäten selbst zu entscheiden.

    Gesundheitsförderung, Prävention

    Sie haben das Recht auf Beratung und Unterstützung, um weitgehend unabhängig von der Hilfe anderer zu sein. Die Hilfe, Pflege und Behandlung sollten so gestaltet werden, dass sie Ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten fördern, Ihre Lebensqualität und Ihr Wohlbefinden erhalten oder verbessern und Sie Ihren Alltag so weit wie möglich selbst bewältigen können. Sie haben Anspruch auf Maßnahmen, die Ihre Situation verbessern, einer weiteren Verschlechterung vorbeugen oder Beeinträchtigungen kompensieren. Das gilt unabhängig von Alter, Behinderung, gesundheitlichen oder geistigen Beeinträchtigungen oder dem Ausmaß des Pflegebedarfs. Dazu gehören zum Beispiel präventive Angebote wie Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen, individuelle gesundheitsfördernde Anleitung, (fach-)ärztliche Versorgung, diagnostische Verfahren, medizinische Behandlungen und Rehabilitation. Darüber müssen Sie aufgeklärt und beraten werden.

    Regelung finanzieller, behördlicher oder rechtsgeschäftlicher Angelegenheiten

    Sie haben das Recht, selbst über Ihre finanziellen, behördlichen oder rechtsgeschäftlichen Angelegenheiten zu bestimmen. Dabei sollten Sie die erforderliche Unterstützung erhalten, wenn Sie etwa Anträge stellen, Formulare ausfüllen oder zu Behörden gehen. Personen, die Sie beraten und unterstützen, müssen in Ihrem besten Interesse handeln. Sie dürfen nichts tun, was Ihren Interessen widerspricht und Ihnen wirtschaftlich oder rechtlich schaden würde.

    Berücksichtigung von Vollmachten und Verfügungen

    Für den Fall, dass Sie später Ihren Willen nicht mehr äußern können, haben Sie das Recht, Vorausverfügungen zu erstellen, das heißt: eine Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung oder Patientenverfügung. Ihr darin geäußerter Wille muss berücksichtigt werden, sofern dieser zum betreffenden Zeitpunkt noch aktuell ist. Ob dies der Fall ist, muss geprüft werden.

    Einschränkungen

    Die Selbstbestimmung hat ihre Grenzen, zum Beispiel dort, wo Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten anderer berührt oder verletzt werden. Bei Konflikten zwischen Ihrem Recht auf Selbstbestimmung und den Fürsorgepflichten der Pflegenden und Behandelnden können Sie erwarten, dass mit allen Beteiligten gesprochen und abgewogen wird, wie Ihr Selbstbestimmungsrecht umgesetzt werden kann. Finanzielle und strukturelle Rahmenbedingungen wie erforderliche finanzielle Eigenmittel oder regional fehlende Hilfeangebote können im Einzelfall die Wahlmöglichkeiten eingrenzen. Das Ziel, das Selbstbestimmungsrecht hilfe- und pflegebedürftiger Menschen so weit wie möglich zu gewährleisten, verpflichtet dennoch alle an der Pflege, Betreuung und Behandlung Beteiligten.